Wert und Identität – wer bin ich denn überhaupt?

Zum Thema Wert und Identität quillt mein Herz über und ich möchte dazu einen kleinen Exkurs in meine Vergangenheit mit Dir machen. Mein Vater kam 1971 als italienischer Gastarbeiter und meine Mutter 1964 mit 9 Jahren als Tochter einer spanischen Gastarbeiterin nach Deutschland. Die beiden lernten sich 1972 in Stuttgart kennen. Mein Vater war 20, meine Mutter 16 Jahre alt. Meine Mutter wurde schwanger mit mir und zu der damaligen Zeit und vorherrschenden südeuropäischen Mentalität gab es nur einen Weg – heiraten!

Ich glaube heute, dass die beiden anstatt moralischer Zwänge, mehr Unterstützung, gute Ratgeber, Austausch, Kommunikation und Ermutigung gebraucht hätten, um als so junge Eltern, in einem fremden Land, einer anderen Kultur und Mentalität mit dieser Situation souveräner umgehen zu können. Aber so ist die Geschichte.

Mein Vater war sehr fleißig, arbeitete hart und tat Alles, um seine kleine Familie zu ernähren und zu versorgen. Meine Mutter ebenso. Sie schloss Ihre Ausbildung im 8. Monat ihrer Schwangerschaft erfolgreich ab. Aber sie waren eigentlich noch Teenager in einem fremden Land, auf dem Weg sich selbst noch kennenzulernen. Sie kamen beide aus nicht einfachen Familienverhältnissen und hatten in ihrem jungen Leben bereits viele traumatischen Dinge erlebt. Meine Mutter war depressiv und hatte zu der Zeit schon mehrmals versucht sich das Leben zu nehmen, darunter auch während der Schwangerschaft mit mir.

Doch Gott hatte einen anderen Plan

Vier Jahre später kamen meine zwei Zwillingsbrüder zur Welt. Meine Eltern hatten im Alter von 22 und 26 Jahren drei Kinder. Ich ehre und liebe meine Eltern von ganzem Herzen und ich weiß, sie haben ihr Bestmögliches getan. Ich bin Ihnen unendlich für Ihre Mühen dankbar und ich erinnere mich an viele schöne und lustige Erlebnisse, an unsere Familienurlaube jeden Sommer abwechselnd nach Italien und Spanien, Spielenachmittage, gemeinsame Mahlzeiten und vieles mehr.

Ein Großteil meiner Kindheitserinnerungen ist dennoch von Traurigkeit und Einsamkeit geprägt. Ich hatte von klein auf das Gefühl, dass ich meine Mutter aufgrund ihrer Depressionen und Stimmungsschwankungen schonen und schützen müsste und verhielt mich ruhig, wollte nicht stören und war ein „sehr liebes Kind“.

Als ich im Alter von ca. 5 Jahren sexuellen Missbrauch durch einen Verwandten erlebte, war für mich völlig klar, dass ich niemals mit irgendjemand darüber sprechen würde. Zum einen aus Scham, zum anderen, um meine Mutter und meine Familie zu schonen. Ich wollte nicht, dass es Ihnen wegen mir noch schlechter geht. Ich war still.

Die Reise

Ich denke, zu dieser Zeit begann meine Identitätsreise und erinnere mich, dass ich so oft hin und hergerissen war, weil ich nicht wusste, wer ich überhaupt war. Zum Beispiel die Frage „als was fühlst Du Dich am Meisten, als Italienerin, Spanierin oder Deutsche?“ lösten Zerrissenheit in mir aus. Egal wo ich mich befand, gehörte ich nie richtig dazu. In meiner Klasse, war ich mit wenigen anderen das ausländische Mädchen mit den dunklen Locken. In Italien oder Spanien waren wir die „deutschen Cousins“. Ich unterdrückte meine Emotionen und meinen Schmerz, obwohl ich noch ein kleines Kind war, das alles Recht gehabt hätte auszudrücken, wie es mir geht. Mir fehlte Stabilität und der sichere Rahmen, die ein Kind benötigt, um gesund aufzuwachsen. Ich war ein schutzbedürftig, steckte aber schon in einer erwachsenen Rolle, in der ich mich für andere Erwachsene verantwortlich hielt. Mein Grundgefühl war Scham.

Als ich 17 war ließen sich meine Eltern scheiden und meine rebellische Phase begann. Ich fing an meine Stimme und meine Kraft zu nutzen, nur nicht immer zu meinem Wohl – ich schadete mir oft selbst, suchte meinen Wert und Anerkennung in Beziehungen, wurde oft enttäuscht und hintergangen. Mit jedem dieser schmerzhaften Ereignisse ging gefühlt ein Stück meiner Würde verloren.

Der Wendepunkt in meinem Leben kam, als ich vor achtzehn Jahren selbst Mutter wurde und ich mich fragte, was ich meiner Tochter für ihre Lebensreise mitgeben wollen würde. Ich war panisch, weil ich das Gefühl hatte, ich hätte nicht viel Gutes zu geben. Das war die Zeit, in der ich zum ersten Mal ernsthaft

und verzweifelt nach Gott suchte und die Zeit, in der ich auf meiner Reise zum ersten Mal Antworten bekam, die ich in meinem Herzen verstand.

Also wer bin ich?

Gott nahm mich damals sehr geduldig an die Hand, ich lernte ihn kennen, forderte ihn heraus, studierte sein Wort, und fing an ihm zu vertrauen und ihm zu glauben, dass er mich geschaffen hatte nach seinem Ebenbild. Dort fand ich nicht nur die Definition meiner Identität, sondern auch meinen Wert. Ich bin SEINE Tochter, (keine Getriebene mehr, keine Heimatlose), von IHM zuerst geliebt, (auch wenn ich viel Mist gebaut habe und ich lange nichts von ihm wissen wollte und auch wenn andere mich nicht mochten), mir ist vergeben, deswegen kann ich vergeben, (auch denen, die mir wirklich weh getan haben) durch IHN bin ich stark, (auch wenn ich schwach bin – Ja, ich darf sogar schwach sein!) freigemacht, (die Ketten sind zersprungen, ich bin nicht mehr gefangen, muss nicht den Vorstellungen von anderen entsprechen) reingewaschen, (von allem, was ich je verbockt habe und ich je falsch machen werde – Alles! Und auch von allem, wo mich andere beschmutzt haben) um auf dieser Welt SEINE Liebe zu repräsentieren. Im 1. Artikel unseres Grundgesetzes steht „Die Würde (der Wert) des Menschen ist unantastbar.“ Diese Wahrheit bestätigt sich auch vielfach in Gottes Wort. Zum Beispiel lesen wir in Jeremia 1,5

„Ich habe dich schon gekannt, ehe ich dich im Mutterleib bildete, und ehe du geboren wurdest, habe ich dich erwählt, um mir allein zu dienen.“

Egal was uns im Laufe unseres Lebens widerfährt, wer uns wie behandelt und sogar wie wir uns selbst behandeln, Gott hat sich uns und unser Leben schon genau ausgedacht und hatte alles im Blick. Wenn das wirklich wahr ist, kann doch wirklich kein Ereignis das verändern, stimmts? Ich glaube das von ganzem Herzen und das Gleiche gilt für Dich.

Das heißt nicht, dass wir nicht mehr verletzt werden, dass wir nicht Phasen und Tage haben, an denen es uns nicht gut geht, dass nicht Dinge passieren, die uns wirklich schwer zusetzen oder wir selbst nicht danebentreten und hinfallen. Diese sind Teil des Lebens. Aber sie haben nicht die Macht unseren Wert zu schmälern oder unsere Identität zu rauben.

Gott sagt sogar, dass diese Ereignisse das Potential haben uns noch stärker in ihm zu machen, sie uns widerstandsfähiger machen und dass er diese Ereignisse nutzen möchte, damit sie uns und anderen zum Besten dienen. Außerdem spricht er uns zu, dass nichts, aber auch Garnichts uns von seiner Liebe trennen kann. Wir bleiben seine Töchter, egal was passiert.Ich kann das von ganzem Herzen bestätigen. Einige Ereignisse in meinem Leben haben mich an meine Grenzen gebracht und haben mich an meinem Wert und meiner Identität zweifeln lassen, haben mich mitunter gebrochen, bitter und hart werden lassen.

Doch wenn ich darauf schaue, was Gott daraus machen kann, wenn ich ihn ranlasse und ihm vertraue, kann ich nur still werden. Nicht weil ich keine Stimme habe, wie damals die kleine Angela, sondern weil ich nur staunen kann, wie ein kleines Kind. Er hat mein verhärtetes Herz in eines aus Fleisch verwandelt, wo ich bitter und traurig war, kam seine Gnade und seine Liebe für mich selbst und auch für andere. Er hat mir eine Stimme gegeben und mich auserwählt, der Welt zu erzählen, wie gut er ist und ich wünsche mir nichts mehr, als zu erleben, dass so viele Frauen wie möglich ihre Stimme und ihre Geschichte ebenso nutzen, um das zu tun. Wird uns das immer gelingen? Bestimmt nicht! Aber wie ich anfangs gesagt, es ist eine Reise. Wir machen diese Reise gemeinsam. Lasst uns voreinander und vor IHM unsere Scham ablegen, und sie gegen den Wert austauschen, den er uns von Anbeginn der Zeit zugeteilt hat.

Angela Condelo

Angela Condello 

Angela ist 47 Jahre alt und seit zwölf Jahren alleinerziehende Mutter einer fast 18-jährigen Tochter. Sie ist in Vollzeit als Niederlassungs-Assistentin in einem internationalen Immobilienunternehmen tätig. Angela ist ehrenamtlich Teil des Wertvoll-Kernteams und leitet den Shine-Bereich im Gospel Forum. Sie liebt gutes Essen, Urlaube am Meer, ausgelassene Gemeinschaft mit Freunden und Familie. Sie hat ein riesengroßes Herz für Frauen und deren bunte Lebensgeschichten. Sie träumt davon, dass immer mehr Frauen sich gegenseitig zum Besten anfeuern und sich daran freuen, wie sie gemeinsam wachsen und in ihren Gaben und ihrer Bestimmung leben.